Oliver baer

Ex-Fotograf | Autor

Oliver Baer wuchs in sehr einfachen und oft schweren Verhältnissen auf. Zuhause fühlte er sich nie wirklich zugehörig. Die Enge, das Schweigen, die Brüche in der Familie hinterließen früh Spuren. Liebe und Geborgenheit waren Mangelware. Mit 17 Jahren zog er von zuhause aus – auf eigene Faust, ohne Netz, ohne Plan B. Was er hatte: eine alte Kamera, einen unbändigen Willen – und das Bedürfnis, sich selbst über Bilder zu behaupten.

Seine Mutter hatte Jahre zuvor einen schweren Autounfall, der sie in die Morphinsucht trieb. Zwischen Rückzug und Schmerz gab es dennoch einen lichten Moment, der alles veränderte: Als Oliver 14 war, schenkte sie ihm seine erste Kamera. Vielleicht war es Intuition, vielleicht der Blick einer Mutter, die etwas in ihm sah, das er selbst noch nicht erkennen konnte. Dieses Geschenk wurde zum Auslöser einer Obsession – und zum ersten Werkzeug auf dem Weg zu einer eigenen Sprache. Einer Sprache aus Licht, Komposition und Kontrolle.

Sein visueller Weg begann mit Musikvideos für Schweizer HipHop-Acts wie Chlyklass, Mimiks, Spooman oder Gimma. Vom Bewegtbild führte ihn die Suche nach Ausdruck und Wahrhaftigkeit immer mehr zur Fotografie. Ein Wendepunkt war seine Teilnahme an der Photo-Schweiz 2015 mit der Serie The Man with the Birds. Plötzlich wurde seine Bildsprache roher, intimer, ernster. Die Aufmerksamkeit, die er durch seine Arbeiten erhielt, fühlte sich an wie die Liebe, die ihm in der Kindheit gefehlt hatte. Das Rampenlicht wurde zur Ersatzfamilie.

Es folgten Aufträge für Musiker:innen wie Stefanie Heinzmann, Seven, Marc Sway oder Pegasus sowie Food- und Werbekampagnen in seinem markanten Stil – zwischen Inszenierung und Menschlichkeit. Doch hinter dem öffentlichen Erfolg wuchs die private Abhängigkeit. Oliver war schwerst alkoholsüchtig. Hochfunktional – aber innerlich ausgehöhlt. Er lieferte, blendete, lenkte ab – und lebte in Wahrheit nur noch für die Sucht.

Am 24. April 2023 kam der Wendepunkt: Die Fassade hielt nicht mehr. Sie brach in sich zusammen. In einem Moment der totalen Erschöpfung unternahm Oliver einen Suizidversuch. Er überlebte – und lieferte sich selbst in eine Entzugsklinik ein. Seit diesem Tag ist er trocken, nüchtern und klar. Es folgte ein radikaler Schnitt: Die kommerzielle Fotografie legte er nieder. Heute kann und will Oliver die Kamera nicht mehr gegen Geld benutzen – zu tief ist die Verankerung von Sucht, Druck und Funktionieren mit seiner früheren Bildarbeit verbunden.

Und doch nimmt er die Kamera wieder in die Hand – für sich selbst, für sein Buch „Belichtet & Benebelt“, das im Februar 2026 erscheint. In Kooperation mit Leica entstehen neue, persönliche Aufnahmen: puristisch, reduziert, ehrlich. Er reist mit der Kamera dorthin zurück, wo es schön war – und dorthin, wo es unabdingbar schlecht war.

Ein neuer Blick. Nüchtern. Klar. Frei von Rausch und Inszenierung.

Oliver Baer will der Sucht ein Gesicht geben – mit Worten, mit Bildern, mit seiner Geschichte.

Denn Alkoholsucht darf kein Stigma mehr sein.l

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